Nachbarn

Mp3 indir

Mp4 indir

HD indir

Share

Paylaş

MP3 herunterladen
Share

Teilen

Wir erleben heutzutage die Missachtung einer Vielzahl von Rechten, darunter auch des Nachbarschaftsrechts. Was versteht der Islam darunter? Welchen Wert misst er ihm bei? Und welchen Nutzen hat es für die Gesellschaft, wenn man dieses Recht achtet?

Der Koran und die Sunna legen nicht nur großen Wert auf eine gute Eltern-Kind-Beziehung, auf ein gutes Verhältnis zu Verwandten sowie auf den Schutz von Waisen, sondern sie betonen auch eindringlich die Bedeutung der Nachbarschaftsrechte. Diesbezüglich lesen wir in der Sure En-Nisāʾ die Worte Gottes: „Dient Gott und setzt Ihm nichts zur Seite; und erweist den Eltern Wohltaten auf beste Weise, sowie den Verwandten, den Waisen, den Bedürftigen, den Nachbarn, die euch nahestehen (als Angehörige, als Mitbewohner oder im Glauben), und den Nachbarn, die euch fern sind (also weder mit euch verwandt sind noch den Glauben mit euch teilen), dem Gefährten an eurer Seite (unterwegs, innerhalb der Familie, am Arbeitsplatz und so weiter), dem Reisenden und denen, die in euren Diensten stehen. Gott liebt nicht die, die eingebildet und überheblich sind.“[1]

Unmittelbar nach dem Gebot, Gott zu dienen und Ihm nichts zur Seite zu stellen, wird verfügt, die Eltern gut zu behandeln. Theoretisch würde nach dem Recht Gottes auf Liebe, Respekt, innige Zuneigung und Interesse das Recht unseres Herrn, des Propheten – Friede sei mit ihm – kommen. Schließlich hat er uns Gott nähergebracht, dank ihm sind wir in der Lage, die Existenz richtig zu lesen und zu deuten. Dank seiner Botschaften haben wir verstanden, dass wir für die Ewigkeit erschaffen wurden, dass wir gewissermaßen Abgeordnete der Ewigkeit sind. Alles was wahr ist, haben wir von ihm gelernt. Daher schulden wir ihm alles. Aber in dem zitierten Vers geht es nicht um die Theorie, es geht um die Praxis. Und daher wird das Recht der Eltern an zweiter Stelle genannt. Außerdem steht in dem Vers an erster Stelle nicht der Glaube an Gott, sondern die Gottesdienerschaft – also wieder die Praxis, nicht die Theorie.

Anschließend gebietet der Koranvers der Reihe nach, Verwandten, Waisen und Bedürftigen Gutes zu tun, um sich dann den Nachbarn zuzuwenden – ganz gleich, ob sie nah oder fern sind und ob sie mit uns verwandt sind oder nicht – und gebietet, ihnen Gutes zu tun und die Nachbarschaftsrechte zu achten. Unsere Nachbarn haben ein Recht darauf, dass wir ihnen Gutes tun, unabhängig von verwandtschaftlichen Banden oder geografischer Nähe.

Ein Mittel zur Vervollkommnung

Folgendes Hadith betont die Wichtigkeit, Nachbarschaftsrechte zu achten. Es findet sich bei Buḫārī, Muslim und in weiteren, angesehenen Hadithsammlungen: „Gabriel hat mir so eindringlich Ratschläge zum Thema Nachbarn gegeben, dass ich dachte, er würde als Nächstes die nachbarschaftliche Erbfolge einführen.“[2]

Da die Eltern, Kinder oder der Ehepartner normalerweise Erben sind, kann man aus den Worten unseres Herrn, des Propheten – Friede sie mit ihm –, die Gott ihm ins Herz gelegt hatte (waḥy ghayr metluww), ableiten, welch großer Wert Nachbarschaftsrechten beigemessen wird. Wir kennen nicht alle Empfehlungen, die Gabriel – Friede sei mit ihm – unserem Herrn, dem Propheten, zum Thema Nachbarschaftsrechte übermittelte, denn auch der Gesandte Gottes – Friede sei mit ihm – geht nicht ins Detail. Allerdings muss es eine Menge an Informationen gewesen sein, denn der Prophet wies mit den Worten „Ich dachte, er würde als Nächstes die nachbarschaftliche Erbfolge einführen“ auf das Ausmaß und die Bedeutung der Angelegenheit hin.

Ein anderes Hadith stellt eine Verbindung zwischen unserem Thema und dem Glauben her: „Wer an Gott und den Jüngsten Tag glaubt, tue seinem Nachbarn Gutes. Wer an Gott und den Jüngsten Tag glaubt, sei großzügig zu seinen Gästen. Wer an Gott und den Jüngsten Tag glaubt, spreche Gutes oder sei still.“[3]

Dem Nachbarn Gutes zu tun, ist also eine Bedingung, die ein vollkommener Gläubiger erfüllen muss. Ein weiterer wichtiger Aspekt in diesem Hadith wird deutlich, wenn man bedenkt, dass der Glaube an Gott eigentlich alle anderen Glaubensgrundsätze einschließt, so auch den Glauben an den Jüngsten Tag. In diesem Hadith jedoch wird der Glaube an den Jüngsten Tag gesondert erwähnt, denn an jenem Tag wird man all das, was man im Diesseits an Gutem und Schönen gewirkt hat, zurückerhalten – und zwar ein Vielfaches davon. Das Jüngste Gericht gleicht einem Teich, in den die guten Taten fließen, es gleicht Samen, die gesät werden und schließlich Frucht tragen.

Gutnachbarliche Beziehungen als Schlüssel zu ewigem Glück

Auf der anderen Seite weist der Gesandte Gottes – Friede sei mit ihm – eindringlich und warnend darauf hin, dass jemand, der nachts satt schläft, während sein Nachbar hungrig ist, kein wahrer Gläubiger sein kann,[4] und dass jemand, vor dem sich ein Nachbar nicht sicher fühlen kann, nicht ins Paradies eingehen wird.[5]

Da der Koran und die Sunna dem Nachbarschaftsrecht so viel Beachtung schenken, muss es sich dabei um etwas sehr Wichtiges handeln. Daher sollte jeder Muslim seinen Nachbarn – ob fern oder nah – offen und freimütig begegnen. Jemand, der von Herzen an Gott glaubt, wird all das Schöne, das er hat, gerne mit seinen Nachbarn teilen. Das gehört zum ethischen Selbstverständnis eines Muslims.

Denkt man an das Nachbarschaftsrecht, denkt man zunächst vielleicht an materielle Hilfeleistungen mit Essen, Trinken oder Kleidung. Bekanntlich kommt das Zekāt nur Muslimen zugute. Nichtmuslimischen Nachbarn – ob nah oder fern – kann man anderweitig materielle Hilfe oder Spenden zukommen lassen. Oft geht es um ganz elementare Bedürfnisse. Niemals sollte man zulassen, dass Nachbarn in Armut Hunger leiden; ihnen sollte geholfen werden. Eine wichtige Hilfestellung ist es beispielsweise, sie darin anzuleiten, eine Arbeit findet. Dadurch kann man viel Gutes bewirken.

Das Nachbarschaftsrecht nur auf materielle Hilfe zu reduzieren, wäre jedoch ein falscher Ansatz. Es ist auch unbedingt wichtig, einander zu grüßen, nach dem Wohlbefinden zu fragen, sich gegenseitig zu besuchen und einzuladen, um sich besser kennenzulernen, Wege zur Annäherung zu öffnen und sich gegebenenfalls zu bemühen, Aversionen abzubauen.

Besonders für einen Gläubigen, der sich im Ausland befindet, ist es wichtig, Gelegenheiten zu nutzen, um mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Beispielsweise könne man sie anlässlich von Feier- oder Festtagen besuchen und ihnen mit Geschenken eine Freude machen. So können Gläubige das Herz ihrer Mitmenschen gewinnen, sie mit ihren Werten vertraut machen und Vorurteile gegenüber Muslimen abbauen. Es dürfte deutlich geworden sein, dass sich die Thematik des Nachbarschaftsrechts nicht auf rein materielle Hilfestellungen beschränken lässt.

Aus Sünden werden Katastrophen

Ein weiterer wichtiger Aspekt: In den Hadithen wird darauf hingewiesen, dass etwas absolut Verbotenes wie Prostitution um ein Vielfaches schwerer wiegt, wenn es in der Nachbarschaft begangen wird.[6] Bekanntlich gibt es Abstufungen bei Unrechtmäßigem oder Verbotenem. Beispielsweise beschreibt der Koran die Größe der Sünde, Gott Ungebührliches zuzuschreiben, mit den Worten: „Die Himmel könnten darüber nahezu zerbersten und die Erde sich spalten und die Berge zertrümmert niederstürzen.“[7]

Es gibt also unter Verbotenem Sünden, angesichts derer Himmel und Erde förmlich zerbersten würden. Zu dieser Kategorie gehören beispielsweise Inzucht und, wie wir in dem Hadith gesehen haben, auch Sünden, die mit Nachbarn verübt werden – Sünden, die gewissermaßen bis zum Himmel schreien. Der Grund: Unter Verwandten und Nachbarn sollte eine Atmosphäre der Sicherheit und des Vertrauens herrschen. Wenn uns daher jemand, dem wir vertrauen und auf den wir uns verlassen, Leid zufügt, ist das keine gewöhnliche Sache. Im Gegenteil, es wiegt um ein Vielfaches schwerer, es wird immer größer, es wird zu einer überdimensionalen Schlechtigkeit.

Brücken der Freundschaft bauen: Mit einem Teller Aschure

Leider müssen wir konstatieren, dass wir einen ernstzunehmenden Werteverfall erleben und gutnachbarliche Beziehungen der Vergangenheit angehören. Selbst in muslimischen Ländern leben die Menschen in ihren Apartmentwohnungen abgeschottet von ihren Nachbarn in ihrer eigenen kleinen Welt. Bei den Nachbarn klingelt man nur noch, um sich über deren Lärm zu beschweren. Deshalb sollte man alles in seiner Macht Stehende tun, um diesem chronisch gewordenen Problem Abhilfe zu verschaffen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass tief verwurzelte Ansichten nicht so einfach abgelegt werden können, wie man ein Kleid auszieht und zur Seite legt.

Es ist daher vonnöten, sich dieses Themas entschlossen und mit Nachdruck anzunehmen. Manchmal reicht schon ein Teller Aschure, den wir unseren Nachbarn ein Stockwerk über uns bringen. Anlässe, Kontakt zu suchen, gibt es viele, entweder ein Geburtstag oder ein anderer Tag, der für unsere Nachbarn von Bedeutung ist. Wir sollten nicht vergessen, dass der Mensch als ein edles Wesen erschaffen wurde; er ist Diener der Wohltätigkeit. Daher werden unsere guten Taten früher oder später Früchte zeitigen. Vielleicht werden uns unsere Nachbarn lange testen, um zu sehen, ob wir wirklich keine Hintergedanken hegen, um dann langsam die Tür für ein Miteinander zu öffnen.

Der Gesandte Gottes verglich das Verhältnis der Gläubigen untereinander mit Ziegelsteinen, die verzahnt gemauert ein stabiles Gebäude bilden.[8] Um eine solche Gesellschaft zu verwirklichen, ist es wichtig, dem Aufmerksamkeit zu schenken, was der Koranvers zu Beginn unserer Abhandlung ausdrückte: das Recht von Vater und Mutter zu wahren, verwandtschaftliche Bande zu stärken, Bedürftigen beizustehen und das Nachbarschaftsrecht zu achten. Da in der Welt von heute die Beziehungen zum Nachbarn ernsthaft gestört sind, kann es sein, dass unsere Bemühungen um Besserung der Beziehungen zunächst ins Leere laufen. Auch wenn am Anfang nur vereinzelt Erfolge zu verzeichnen sind, im Laufe der Zeit werden infolge unserer entschlossenen und geduldigen Versuche die zwischenmenschlichen Eisberge zu schmelzen beginnen und in den Herzen unserer Nachbarn wird sich Interesse und Anteilnahme breitmachen. Dieses Interesse am anderen wird zu einer festen Verbindung führen, die die Menschen einer Gesellschaft wie Glieder einer starken, nicht zu durchtrennenden Kette vereint. Menschen werden einander unterstützen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten; wenn einer fällt, hilft ihm der andere wieder auf – gewissermaßen ein Wettstreit im Gutestun. Nur solche Menschen können eine ideale Gesellschaft begründen, deren Individuen sich nicht gegenseitig bekämpfen und die sich nicht ständig in den Haaren liegen.

In Anlehnung an die Worte des ehrwürdigen Pīr (Bediuzzaman): Eine Gesellschaft, die sich aus sündigen Bestandteilen und Molekülen zusammensetzt, kann nicht gesund sein.[9] Also ist es wichtig, dass sich alle Glieder einer gesunden Gesellschaft gegenseitig dabei helfen, sich von Sünde fernzuhalten und Fehler zu vermeiden. Auch Gott der Wahre erinnert die Gläubigen an diese Verantwortung und gebietet: „Helft einander […] in Rechtschaffenheit und Frömmigkeit, und helft einander nicht in Sünde und Schändlichkeit und Gewalttätigkeit.“[10]

Um gegenseitige Hilfe und Unterstützung, wie sie der Koran gebietet, sicherzustellen, muss meiner Meinung nach gutnachbarlichen Beziehungen besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden, als Chance und Grundlage einer idealen Gesellschaft. Das ist eine Verantwortung, der wir uns stellen müssen.

Nachbarn nah und fern

Noch einmal zurück zu unserem Ausgangsvers, En-Nisāʾ, 4:36. Der Vers lenkt den Blick zunächst auf die Gottesdienerschaft und die Aufrichtigkeit in der Anbetung, man stellt Gott nichts zur Seite. Dann geht es der Reihe nach darum, die Eltern gut zu behandeln, Verwandten Gutes zu tun und sich um Waisen und Bedürftige zu kümmern. Anschließend wird erwähnt, dass man Nachbarn, die einem nahestehen (aufgrund geografischer Nähe oder Verwandtschaft), Gutes tun sollte, ebenso Nachbarn, die einem eher fern sind, was sich auf Nachbarn bezieht, die weiter weg wohnen, nicht mit einem verwandt oder keine Muslime sind. Der hochselige Hamdi Yazır ruft in seinem Korankommentar in diesem Zusammenhang folgendes Hadith in Erinnerung: „Es gibt drei Gruppen von Nachbarn. Die erste hat drei Rechte: das Recht des Nachbarn, das Recht der Nähe und das Recht des Islams; die zweite hat zwei Rechte: das Recht des Nachbarn und das Recht des Islams; die dritte hat ein Recht: das Recht des Nachbarn. Hierbei handelt es sich um Nachbarn christlichen oder jüdischen Glaubens sowie um Polytheisten.“

Es gehört also zum Nachbarschaftsrecht, auch denen Gutes zu tun, die keine Muslime sind. Hierzu gehört zuallererst, ihnen unsere Gedanken und Gefühle klarzumachen. An dieser Stelle sollten all jene aufhorchen, die sich Aktivitäten der Toleranz und des Dialogs verweigern!

[1] En-Nisāʾ, 4:36.

[2] Buḫārī, Edeb, 28; Muslim, Birr, 141.

[3] Buḫārī, Edeb, 31, 85; Riqāq, 23; Muslim, Īmān, 74; Edāhī, 19.

[4] Siehe Ḥākim, Mustedrak, 2/15.

[5] Siehe Buḫārī, Īmān, 4, 5; Muslim, Īmān, 64–65.

[6] Siehe Buḫārī, Tefsiru Sure (2), 3; (25) 2; Edeb, 20; Diyāt, 1; Hudūd, 30; Tewhīd, 40; Muslim, Īmān, 141, 142; Ebū Dāwūd, Talāq, 50; Tirmiḏī, Tefsiru Sure (25), 1, 2.

[7] Sure Maryam, 19:90.

[8] Siehe Buḫārī, Ṣalāt, 88; Mezālim, 5; Edeb, 36; Muslim, Birr, 65; Tirmiḏī, Birr, 18; Nesāʾī, Zekāt, 67.

[9] Siehe Bediuzzaman, Münazarāt, S. 52.

[10] El-Māʾide, 5:2.

  • https://s1.wohooo.net/proxy/herkulfo/stream
  • Herkul Radyo