Tugendhaftigkeit

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Wie lässt sich Tugendhaftigkeit am besten verinnerlichen?

Um ein Leben auf der höchsten Stufe der Tugend führen zu können, in dem moralische Werte und das Gebet eine zentrale Rolle spielen, ist es absolut unerlässlich, dass man sich zu einem ernsthaften, würdevollen, besonnenen und vertrauensvollen Menschen entwickelt. Diese Eigenschaften sollte man zu einer Dimension seiner Persönlichkeit machen, mit ihnen sollte man sein ganzes Wesen veredeln. Jedoch ist es äußerst schwierig, diese Stufe zu erreichen und auch dauerhaft auf ihr zu verbleiben. Als ein Beispiel für den Erwerb dieser Eigenschaften kann man den Gesandten Gottes – Friede sei mit ihm – zitieren, der verlangt, dass man seinen Charakter schult: „Der Koran wurde mit Trauer offenbart. Weint, wenn ihr ihn lest. Wenn ihr nicht in der Lage seid zu weinen, überwindet euch dazu.“[1] Mit anderen Worten: Lest den Koran mit Ruhe im Herzen und Erfüllung in der Seele. Daraus lässt sich ableiten, dass es in mancherlei Hinsicht möglicherweise Selbstüberwindung erfordert, wenn man sich die oben genannten Eigenschaften aneignen möchte; und es mag sein, dass man dabei von Menschen, die sich der Bedeutung dieser Aufgabe nicht bewusst sind, dafür kritisiert wird. Doch sollte man sich von solcher Kritik nicht verunsichern lassen, weil man diesen Weg ja eingeschlagen hat, um zu Ihm zu gelangen. Schauen wir uns nun einmal an, wodurch genau sich Tugendhaftigkeit auszeichnet.

Meiner Ansicht nach steht ganz oben auf der Liste der Prinzipien für ein tugendhaftes Leben der Verzicht auf leeres Gerede. Wer viel redet, sagt häufig auch viel Falsches, was weitere unerwünschte Folgen nach sich ziehen kann. Aus diesem Grund pflegte der Gesandte Gottes immer nur dann zu sprechen, wenn ihm eine Frage gestellt wurde oder wenn er es für notwendig hielt, eine bestimmte Angelegenheit näher zu erläutern. Seine Gefährten folgten seinem Beispiel und handelten ebenso. Ebū Bekr etwa, ein Vorbild an Treue, soll sich einen kleinen Stein in den Mund gelegt haben, um nicht unnötig daher zu schwatzen. Nur wenn er etwas sagen musste, nahm er den Stein heraus, sprach und legte ihn anschließend wieder zurück. Obwohl ich in den authentischen Quellen nie eine Bestätigung für diese Geschichte gefunden habe, würde ich sie keineswegs seltsam finden. Ebū Bekr besaß definitiv die Größe und war besonnen genug, zu dieser Methode gegriffen zu haben, um sich zu disziplinieren. Zumindest finden sich in den Quellen Hinweise darauf, dass Ebū Bekr nach der Hidjra in Anwesenheit des Propheten nicht mehr als einige hundert Worte sprach – was als Beweis für die Richtigkeit dieser Darstellung gewertet werden kann. Wenn jemand anderen Menschen Dinge erklärt, die mit der Welt von Herz, Geist oder Verstand verknüpft sind, und damit den Horizont seiner Gesprächspartner erweitert, dann ist dies positiv und nützlich. Geschwätz und Gerede hingegen kann getrost als Verschwendung betrachtet werden. Und wie könnte eine Religion, die die Verschwendung von Wasser selbst dann verbietet, wenn man seine rituelle Waschung an der Böschung eines Flusses vornimmt, die Verschwendung von Worten, die von ihrem Wesen her für den Menschen wie Edelsteine sind, gutheißen? Also dürfen wir überflüssiges und leeres Gerede getrost als etwas Fragwürdiges betrachten. Mit den Konzepten „wenig sprechen“, „wenig essen“ und „wenig schlafen“ haben sich die Gottesfreunde (ehlullāh) drei Themen, die für das diesseits und jenseitige Leben eine wichtige Rolle spielen, zu Grundprinzipien ihres Lebens erwählt. Ähnlich wie beim Essen, Trinken und Einkleiden empfiehlt es sich auch beim Sprechen, sparsam zu sein; die Zahl der Wörter, die es braucht, um ein Thema oder einen wichtigen Gedanken zu erläutern, sollte sorgfältig bemessen werden. Wer etwas zu sagen hat, sollte dabei weder Worte noch Zeit verschwenden. Jedes zu artikulierende Wort abzuwägen und zu filtern, ist eine moralische Herausforderung. Sich diese Tugend anzueignen und sie ganz und gar zu verinnerlichen, erfordert viel Zeit und Mühe.

Auch Askese (zuhd) – in der Bedeutung, weltlichen Vergnügen zu entsagen und körperlichen Neigungen zu widerstehen – ist in moralischer Hinsicht sehr wichtig. Sie genießt im Sufismus (bei Menschen, die nach einem spirituellen Bewusstsein streben) einen sehr hohen Stellenwert, und schon lange, bevor der Sufismus als ein Bildungsweg beziehungsweise als eine Bildungsinstitution aufgefasst wurde, hat der Prophet – Friede sei mit ihm – ihre Rahmenbedingungen festgelegt und sie als einen Geist und eine tiefere Verstehensebene des Glaubens beschrieben. Wenn wir dies mit Bediuzzamans Askese-Definition verknüpfen – „Wende dich nicht mit deinen Handlungen von der Welt ab, aber mit dem Herzen“, schenke der Welt und den Dingen darin nicht mehr Beachtung, als sie verdienen, hege keine die Welt betreffenden Erwartungen, und sei bescheiden genug, dir nicht zu wünschen, ein gewaltiges Erbe zu hinterlassen! –, dann sollten sich alle Gläubigen um diese Eigenschaften bemühen, insbesondere aber diejenigen unter ihnen, die höhere Ziele verfolgen. Anfangs kann es sich als sehr mühsam erweisen, eine solche Haltung gegenüber Reichtum, sozialem Status, Ruhm usw. in jeder Hinsicht zu verinnerlichen. Daher sollte man zunächst im Kleinen beginnen, um sich dann allmählich weiter vorzutasten bis es einem eines Tages zu etwas Unentbehrlichem wird; beispielsweise mit folgendem Gedanken: „Die eine Garnitur Kleider, die ich besitze, genügt mir. Ich brauche keine zweite. Sonst wird es mich bald auch nach einer dritten und einer vierten dürsten.“ Diese Art von Askese pflegte der Prophet zu praktizieren, und man kann sie wie oben beschrieben Schritt für Schritt in sein Leben integrieren. 

Natürlich gibt es noch viel mehr Tugenden, die hier genannt werden könnten: achtsam in charakterlicher Hinsicht zu sein, die Augen vor sündhaften Blicken zu schützen und keinen Stolz zu hegen, um nur einige zu nennen. Aber die beiden oben angesprochenen sind ein guter Startpunkt auf der Reise zur Tugendhaftigkeit. Den eigenen Glauben zu leben, das heißt, Gott zu dienen, ist eine weitere Aufgabe, die permanente Praxis erfordert. Sie beginnt damit, dass man zu den vorgesehenen Zeiten sein Gebet verrichtet, ohne sich zu verspäten; und dass man liebevoll und enthusiastisch mit einer Intensität betet, die Gott dazu veranlasst, uns die Türen Seiner Akzeptanz zu öffnen. Man sollte also nicht beten, als wollte man sich einer schweren Last entledigen. Natürlich ist die vollumfängliche Erfahrung des Gebets ein Gipfel, der sich nicht von heute auf morgen besteigen lässt. Doch wer sich immer wieder dem Gebet hingibt, wird diesen Gipfel irgendwann erklimmen. Grundvoraussetzung dafür ist allerdings die Beständigkeit. Allen unabhängigen Wünschen seines Egos zum Trotz sollte der Mensch so leben, dass er dem Anspruch seines Willens gerecht wird. Um dazu in der Lage zu sein, muss er sich aber all jene Eigenschaften aneignen, die den Menschen erst zum Menschen machen. 

[1] Ibn Mādje, Iqāme, 176; Zuhd, 19.

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